Geschichte1

Die Zahnstocher-Affäre

Im Jahre 1911 spielte sich eine verhängnisvolle Geschichte ab:

 

Die Vorstandschaft des PWV-Otterberg trat geschlossen zurück, nachdem sie von den Otterberger Bürgern auf das Übelste beschimpft wurden. Anlass war eine Fahne, die der PWV-Otterberg für sich herstellte. Auf dieser Fahne befand sich ein Zahnstocher mit dem Wortlaut: “Krakauer Zahnstocher und zwei gestickte Radankuchen. Diese Symbole waren für die Otterberger Bürger eine Verunglimpfung und deswegen sahen sie eines Tages “rot”. Das die Vorstandschaft das nicht mit böser Absicht gemacht haben spielte dabei keine Rolle.

 

Die Bedeutung des Ausdruck “Krakauer Zahnstocher” lesen sie "hier"

 

Hier der orginal Wortlaut des Schreibens der Ortsgruppe Otterberg an den Hauptvorstand des Pfälzerwaldvereins über die Geschehnisse am 14. Mai 1911

 

 

Otterberg, den 20. Mai 1911

 

Die Ortsgruppe Otterberg teilt dem Hauptvorstand des Pf.W.V mit, dass sämtliche Mitglieder des hiesigen Vorstandes ihr Amt niedergelegt und ihren Austritt aus der hiesigen Ortsgruppe erklärt haben letzteres unter Vorbehalt des Übertritts zu einer anderen Ortsgruppe.

 

Zur Rechtfertigung dieses Schrittes teilen wir dem Hauptvorstande folgendes mit:

 

„ Zum „großen Tag“ des Hauptvereins pflegten in den letzten Jahren manche Ortsgruppen ein „Originelles Wahrzeichen“ voranzutragen, welches auf die Industrie, Neckerei oder Geschichte ihres Heimatortes hinwies. Unsere junge Ortsgruppe wollte auch hier nicht zurückstehen, und durch ihre kunstbeflissenen Damen wurde im Laufe des langen Winters ein Wanderbanner fertiggestellt, das auf der Vorderseite als Ehrenzeichen das Otterberger Wappen und als Zeichen wie die Otterberger im pfälzischen Volksmund geneckt werden zwei gestickte Randankuchen und auf einem Zahnstocher die gestickte Worte „Krakauer Zahnstocher“ trug und auf der Rückseite die pfälzische Fahne zeigte. Unser II. Vorstand, Herr kgl. Förster Weber hat den Entwurf gezeichnet und ihn auf unserer Wanderung am 19. Febr. Teilnehmern gezeigt, ohne dass von irgend einer Seite Bedenken geäußert worden wären. Am Freitag den 12. Mai stellten wir das fertige Banner in einem hiesigen Schaufenster aus und niemand hatte vorerst auch nur das geringste auszusetzen.

 

Am Samstag Abend zwischen 8 und 9 h erschien ein hiesiger Bürger und Mitglied unserer Ortsgr. bei dem I. Vors. und erklärte: „ Der Zahnstocher muß herunter. Die ganze Stadt ist ja blamiert.“ Auf die Bitte in dieser Form konnten wir unmöglich reagieren und nahmen daher das Banner stolzen und frohen Mutes mit nach Dürkheim.

 

Während wir nun in Dürkheim weilten, wurde hier durch leider nicht bestimmt nachweisbare Einflüsse die Volksseele wahren Sinn des Wortes zum kochen gebracht. Im Gegensatz zu Dürkheim lautete hier die Parole:

 

„dass mer aber jeder kreischt“

 

Und diese wurde getreu gehalten.

 

Bei unserem Rückmarsch von Lampertsmühle wurden wir schon 20 Minuten von den Häusern Otterbergs entfernt von einer Schar begrüßt unter vielstimmigen Rufen:

 

„Wo hann ehr euer Fahne; Krakauer Zahnstocher; Radankuche; Zahnstocher etc“

 

Doch dies sollte nur ein säuselndes Vorspiel sein zu dem nachfolgenden Getöse. Mit jedem Schritt gegen Otterberg wuchs die Menge an und wir glauben annehmen zu dürfen, 5/6 hiesiger Bevölkerung wohnte entweder als billigender Zuschauer oder als schreiender Beteiligter oder als eine mit Zahnstochern von Latte bewaffnete Reserve dem pfälzischen Haberfeldtreiben bzw. Zahnstochertreiben an.

 

Schon mittags war uns von Otterbergern, welche per Bahn nach Dürkheim gefahren waren gesagt worden, dass es bei unserer Rückkehr etwas gebe. Aber das, was tatsächlich geschah, konnte in dieser Heftigkeit von niemand vermutet werden. Das, was die wenig Getreuen unserer Ortsgruppe zu sehen und hören bekamen, grenzt ans unglaubliche. Die Insassen des uns vorausfahrenden Postwagens wurden belästigt mit dem Ruf: „ Wo hann ehr euer Fahne! Raus mit dem Fahne! etc.“ Gleichzeitig aus Dutzend Kehlen einer leidenschaftlich erregten, irregeleiteten, wild gemachten Horde erscholl es unaufhörlich und stets von neuem wiederholt:

 

„Zahnstocher! Rinngerutschte Staatsbettelleut! Ehr Rinngerutschte! Rinngerutschte Vorstandschaft! Zottelarsch! Laafarschverein! Schlagt ihm die Ärsch! Radankuche! Lochkuche! Bundkuche! etc, etc“

 

Den Höhepunkt erreichte das Gebrüll an den ersten Häusern, als uns verheiratete Männer und selbst Mitglieder unserer Ortsgruppe mit nie endenwollenden „Pfui“ –Rufen „Ehr Rinngerutschte ! Zahnstocher! etc“ empfingen und begleiteten. Nur dem mustergültigen Verhalten unserer Ortsgruppe ist es zu verdanken, dass es mit den angefertigten Zahnstochern von großer und ganz respektabler Beschaffenheit nicht zu Tätlichkeiten kam. Der zündende Funken im Pulverfass blieb aus. Jedem Mitglied des Vorstandes und der Ausschüsse wurden auf dem ganzen Wege unaufhörlich persönliche Schmähreden, Beschimpfungen und Beleidigungen nachgerufen, die wiederzugeben uns erlassen sei.

 

Infolge der Dunkelheit auf den Straßen konnte niemand so recht erkennen und noch weniger ohne Lebensgefahr jemand anhalten. Von einer Gendarmerie und Polizei war nichts zu sehen und zu hören, selbst dann noch nicht, als die Vorstandsmitglieder in ihren Wohnungen belagert und belästigt wurden, welches Treiben über den ganzen Montag fortgesetzt werden konnte.

 

Da den hiesigen Vorstandsmitgliedern durch die Anbringung eines Zahnstochers und der Worte „Krakauer Zahnstocher“ jede Verhöhnung, wie sie ihnen nun unterschoben wird, ferngelegen hat, und da sie weiterhin während ihrer noch nicht einjährigen Wirksamkeit durch die Tat (Aufstellung 4 massiver und anderer Ruhebänke, Fertigstellung zweier Fußpfäde) gezeigt haben, dass ihr uneigennütziges Wirken bloß das Beste hiesiger Stadt zum Ziele hat, so tut es ihnen gegenüber dem Hauptverein leid, zu voranstehendem Schritt gezwungen gewesen zu sein.

 

Eine solch unglaublich gehässige Beschimpfung einer Ortsgruppe, sogar aus den Reihen der eigenen Mitglieder heraus, rechtfertigt unseren Schritt. Wir bitten den Hauptvorstand, baldigst die weitern Schritte zu unternehmen.

Gez. Sonn Gez. Brückmann

 

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